Halbjahresbilanz 2022 des MAA-Report: 10% weniger Neuzulassungen, aber guter Start ins dritte Quartal
Die Bilanz an zentralen Arzneimittelzulassungen der EU-Kommission fiel im 1. Halbjahr 2022 etwas schwächer aus als in der gleichen Vorjahreszeit. Die EMA ist jedoch mit einem guten Polster an Positive Opinions ins 3. Quartal gestartet, so dass für das Gesamtjahr mit ähnlich vielen Zulassungen wie im Jahr 2021 gerechnet werden kann. Das ergibt sich aus der aktuellen Halbjahresbilanz des MAA-Report, der für jedes Arzneimittel auch die Verfahrensdauer dokumentiert.
Die Statistik erfasst auch Biosimilars, nicht jedoch Generika. Vom MAA-Report ebenfalls nicht erfasst sind Informed-Consent-Einreichungen. Zulassungen identischer Arzneimittel unter mehreren Handelsnamen werden nur einmal gezählt.
Im 1. Halbjahr 2022 hat die Europäische Kommission nach dieser Statistik 36 neue Arzneimittel für den Europäischen Wirtschaftsraum (EU plus Island, Liechtenstein und Norwegen) zugelassen. Das sind 10 % weniger als in der gleichen Vorjahreszeit.
Die Top Indikationen
Wie die Auswertung nach Indikationsgruppen ergab, standen Arzneimittel für Krebspatienten mit 9 (gleiche Vorjahreszeit: 14) Zulassungen an der Spitze. Es folgen Arzneimittel für das Indikationsgebiet Alimentäres System und Stoffwechsel mit 5 (2) und ZNS-Arzneimittel mit 4 (5) Zulassungen. Diese Top-3-Indikationen machen mit 18 Arzneimitteln die Hälfte der Zulassungen aus. Wie im Vorjahr entfielen wieder 3 Neuzulassungen auf das Anwendungsgebiet COVID-19, zwei Therapeutika (Evusheld von AstraZeneca und Paxlovid von Pfizer) sowie eine Vakzine (der Ganzvirus-Impfstoff von Valneva). Platz 5 teilen sich mit jeweils 2 Zulassungen Arzneimittel gegen Hämatologische Erkrankungen und Diabetes sowie Vakzinen (ohne COVID-Impfstoffe). Weitere neun Indikationsgebiete sind mit jeweils einer Zulassung vertreten.
Zehn Orphan Drugs
Von den im 1. Halbjahr 2022 erstmalig zugelassenen Arzneimitteln haben zehn Orphan-Drug-Status. Für sie hat der Ausschuss für Arzneimittel für seltene Leiden (COMP) den Status zum Zeitpunkt der Zulassung bestätigt: Tavneos (Avacopan) von VFMCRP, Lonapegsomatropin Ascendis Pharma, Voraxaze (Glucarpidase/Serb), Oxbryta (Voxelotor/Global Blood), Ngenla (Somatrogon/Pfizer, Opko), Kimmtrak (Tebentafusp/Immunocore), Carvykti (Ciltacabtagen autoleucel) von Janssen (CAR-T-Zell-Therapie), Lunsumio (Mosunetuzumab/Roche), Filsuvez (Birkenrindenextrakt) von Amryt sowie Xenpozyme (Olipudase alfa/Sanofi).
Vier neue Biosimilars
Im 1. Halbjahr 2022 wurden vier Biosimilars zugelassen, ebenso viele wie im gleichen Vorjahreszeitraum. Es handelt sich um jeweils 1 Biosimilar der Insuline NovoMix (Truvelog Mix 30/Sanofi) und Actrapid (Inpremzia/Baxter), ein Biosimilar von Neulasta (Stimufend/Fresenius Kabi) und ein Biosimilar von Forsteo (Sondelbay/Accord).
Mehr als 13 Monate Verfahrensdauer
In jeder Quartalsbilanz dokumentiert der MAA-Report die Verfahrensdauer der neu zugelassenen Arzneimittel, von der Einreichung bei der EMA bis zur Zulassung. Für das 1. Halbjahr 2022 lassen sich daraus diese Schlüsse ziehen:
Die Verfahren dauerten im Mittel rd. 417 Tage, das entspricht etwas mehr als 13 Monaten. Dieser Mittelwert basiert auf einer Auswahl von 34 von 36 Arzneimitteln. Für ein Arzneimittel konnte die Dauer nicht bestimmt werden, weil der EPAR, aus dem sich das Datum der Einreichung ergibt, noch nicht veröffentlicht war. Ebenfalls nicht berücksichtigt ist Nexviadyme (Avalglucosidase alfa) von Sanofi (Verfahrensdauer: 651 Tage). Das Arzneimittel ließ die Europäische Kommission erst 11 Monate nach der Ausstellung der Positive Opinion des CHMP zu. Der Sonderfall hängt mit einem (vergeblichen) Einspruch des Antragsstellers zusammen. Der CHMP hatte die Einstufung als New Active Substance (NAS) abgelehnt und der COMP dem Arzneimittel später den Orphan-Drug-Status aberkannt.
Das kürzeste und das längste Verfahren: Bei Evusheld vergingen von der Einreichung bis zur Zulassung 11 Tage (freilich nach vorangegangener Rolling Review). Am anderen Ende steht das Biosimilar Inpremzia mit 781 Tagen.
„Beschleunigte“ Zulassung nach einem Dreivierteljahr
Näher betrachtet hat der MAA-Report die drei Arzneimittel, die im 1. Halbjahr die Zulassung nach einer beschleunigten Bewertung (Accelerated Assessment) erhalten haben: Kimmtrak (Tebentafusp), Lunsumio (Mosunetuzumab) und Xenpozyme (Olipudase alfa). Die beschleunigte Bewertung verkürzt die Phase von der Validierung des Antrags bis zur CHMP-Opinion von 210 auf 150 Tage (jeweils ohne Clock-Stops). Die effektive Verfahrensdauer ist im Wesentlichen abhängig vom Zeitpunkt der Validierung des Antrags und dem Beginn der Bewertung, möglichen Clock Stops und der Zeitspanne zwischen der CHMP-Empfehlung und der Kommissionsentscheidung. Bei keinem der drei Arzneimittel dauerte das komplette Verfahren länger als ein Dreivierteljahr.
Bei Kimmtrak vergingen von der Einreichung bis zur Zulassung 252 Tage und von der Einreichung bis zur CHMP-Opinion 216 Tage. Vom Start der Bewertung (Antragsvalidierung) bis zur Opinion dauerte es 196 Tage. Für Lunsumio lauten die entsprechenden Zeitmarken 266, 224 und 176 Tage, für Xenpozyme 241, 205 und 175 Tage.
Für Kimmtrak ist auch ein Vergleich mit den USA möglich; für die beiden anderen Arzneimittel lief bei der FDA noch das Zulassungsverfahren (Stand: Ende Juli 22). Der Vergleich mit den USA bietet sich auch deshalb an, weil das Arzneimittel dort Priority-Review-Status hatte, was die nominelle Verfahrenszeit von der Validierung bis zur FDA-Zulassung auf sechs statt zehn Monate verkürzt. Das Zulassungsverfahren insgesamt dauerte in den USA nur 216 Tage, genauso lang, wie es in der EU von der Einreichung bis zur CHMP-Entscheidung dauerte. Dass die Europäische Kommission und nicht die EMA das letzte Wort hat, macht zumindest bei Kimmtrack den Unterschied. Die FDA entscheidet unmittelbar.
FDA ist fünfeinhalb Monate schneller
Für diejenigen Arzneimittel mit Zulassung in der EU, die bis zum 30.06. auch in den USA zugelassen waren, hat der MAA-Report erneut die Verfahrensdauer verglichen. Für diese Stichprobe mit 25 Arzneimitteln betrug die Verfahrensdauer in der EU im Mittel 431 Tage, in den USA 263 Tage. Dieser Vorsprung von rund fünfeinhalb Monaten hat sich in den vergangenen Jahren verfestigt.
Das Gegenteil lässt sich über die beiden im 1. Halbjahr zugelassenen COVID-19-Therapeutika sagen. Das Verfahren für die Notfallzulassung (EUA) in den USA dauerte bei Evusheld 69 Tage und damit 58 Tage länger als das Zulassungsverfahren bei der EMA, Paxlovid erreichte die EU-Zulassung in 21 Tagen, für die EUA der FDA brauchte es 36 Tage. Dass es in der EU so schnell ging, ist der Rolling Review zu verdanken, die dem Verfahren vorgeschaltet war und der schnellen Entscheidung der EU-Kommission, die unmittelbar auf die CHMP-Opinion folgte. Zwar erfolgten die EUAs der US-Zulassungsbehörde rund einen Monat (Paxlovid) bis dreieinhalb Monate (Evusheld) früher als die bedingten Zulassungen der EU-Kommission, weil auch die Anträge in den USA früher gestellt wurden. Jedoch erstellte der CHMP für beide Wirkstoffe schon frühzeitig harmonisierte wissenschaftliche Gutachten, sogenannte Artikel 5(3)-Empfehlungen, die schon vor der Zulassung eine Anwendung der Arzneimittel auf der Ebene der EU-Mitgliedstaaten zuließen – ein Verfahren, das im Effekt einer EUA sehr nahe kommt.
Wie geht es weiter?
Nach der verhaltenen Entwicklung im 1. Halbjahr hat sich das Zulassungsgeschehen mit Beginn des 3. Quartals wieder belebt. Noch im Juli wurden 3 weitere Arzneimittel zugelassen. Zudem verzeichnete der MAA-Report Ende Juli dieses Jahres 17 Positive Opinions, die noch auf die Entscheidung durch die EU-Kommission warteten. Da die EU-Kommission den CHMP-Empfehlungen nahezu immer folgt, kann man schon jetzt (Stand Ende Juli) ein Potenzial von 56 Zulassungen für 2022 in die Bücher schreiben (39 bereits erfolgte Zulassungen + 17 CHMP-Empfehlungen). Dieser „Vorschuss“ auf die Jahresbilanz lag vor einem Jahr bei 54 Arzneimitteln. Der CHMP tagt nach der Pause im August noch viermal in diesem Jahr, und zumindest die Ergebnisse der September- und der Oktobersitzung dürften von der Kommission noch 2022 bearbeitet werden. Die Chancen stehen nicht schlecht, dass EMA und EU-Kommission an das gute Ergebnis des Gesamtjahres 2021 (68 Zulassungen) in diesem Jahr anknüpfen können.
Die Ausgabe 15 des MAA-Report vom 22. August 2022 dokumentiert die Zulassungsbilanz des 1. Halbjahres 2022 auf zwei Extra-Datenblättern mit einer nach Indikationen sortierten Übersicht sowie einem Vergleich der Bearbeitungszeiten in der EU mit denen in den USA.