Neue Arzneien werden oft zuerst in den USA zugelassen – doch fast alle kommen auch nach Europa

Auch ohne TTIP: Die Pharmamärkte in der EU und in den USA gleichen sich aneinander an. Das zeigen die Zulassungen für neue Arzneimittel der Europäischen Kommission und der FDA, wie sie in dieser Ausgabe des MAA-Report im Jahresrückblick 2015 dokumentiert werden.

Zulassungen, EU, USA Neue Arzneien werden oft zuerst in den USA zugelassen — doch fast alle kommen auch nach Europa Auch ohne TTIP: Die Pharmamärkte in der EU und in den USA gleichen sich aneinander an. Das zeigen die Zulassungen für neue Arzneimittel der Europäischen Kommission und der FDA, wie sie in dieser Ausgabe des MAA-Report im Jahresrückblick 2015 dokumentiert werden. Die Europäische Kommission hat mit Geltung in der EU sowie in Norwegen, Island und Lichtenstein (EWR) im vergangenen Jahr 62 neue Arzneimittel zugelassen (ohne Generika, Biosimilars und Informed Consent Zulassungen). Von diesen waren 53 und damit 86% zum Stichtag 31.12.15 auch in den USA zugelassen. Für ein weiteres Arzneimittel, das Parkinson-Mittel Safinamid von Zambon/Newron läuft das Verfahren bei der FDA, die bis voraussichtlich Ende März 2016 entscheiden wird. Und wie sieht es umgekehrt aus. Die FDA ließ nach der Statistik des MAA-Report im vergangenen Jahr 51 Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen oder Wirkstoffkombinationen zu. Davon hatten zum Stichtag 28, das sind rund 54%, auch das OK der EU-Kommission. Gut also für den US-Markt. Doch was auf den ersten Blick nach sehr ungleichen Verhältnissen zu Lasten der europäischen Märkte aussieht, relativiert sich bei näherer Betrachtung. Denn für ein weiteres Arzneimittel, das Gichtmittel Lesinurad von AstraZeneca hat der CHMP schon eine Positive Opinion ausgesprochen. Und 13 weitere sind bei der EMA bereits eingereicht. Werden die Anträge positiv beschieden, dürften acht von zehn Arzneimittel aus der Novitätenbilanz der FDA in absehbarer Zeit auch in der EU verkehrsfähig sein. Kaum ein forschendes Pharmaunternehmen konzentriert sich nur auf den US-Markt und lässt sich die Chancen auf dem EWR, dem — laut Website der Bundesregierung — nach Wirtschaftskraft größten Binnenmarkt der Welt mit seinen 500 Mio. Einwohnern entgehen. Es dauert nur etwas länger bis zur Marktfähigkeit der Medikamente. Was sind die Gründe für den zeitlichen Vorsprung EWR/USA. Erfolgen die Einreichungen später? Vergeht mehr Zeit von der Antragstellung bis zur Zulassung?

Für die erfassten 62 Zulassungen der Europäischen Kommission sind wir diesen Fragen nachgegangen. Für zwei von drei Arzneimitteln (40) hatten die Hersteller zum Zeitpunkt der Kommissionsentscheidung den Approval Letter der FDA bereits seit mindestens einem Monat in den Akten; zum Teil liegt die FDA-Zulassung schon seit einem Jahr oder mehreren Jahren vor. Ausweislich der EPARs (EU) bzw. der Approval Letter (USA) wurden für 24 der 62 Arzneimittel die Anträge auch zuerst bei der FDA eingereicht. Aber in 18 Fällen landete der Antrag zuerst auf den Schreibtischen der EMA, einschließlich der Produkte, für die in den USA (noch) kein Antrag gestellt wurde. Und in immerhin 19 Fällen wurde fast zeitgleich in beiden Märkten eingereicht (weniger als ein Monat Unterschied). In einem Fall konnte das Einreichungsdatum in der EU nicht ermittelt werden, weil der EPAR noch nicht veröffentlicht ist. Deutlichere Unterschiede gibt es bei den (brutto) Bearbeitungszeiten, hier gerechnet als zeitliche Abstand zwischen Einreichungs- und Zulassungsdatum. Die Uhr läuft also in dieser Berechnung praktisch mit, auch wenn die EMA sie anhält (Clock Stop), während der Antragsteller die „List of outstanding Questions“ abarbeitet. Ausgewertet wurden die 52 EU Zulassungen des Jahres, für die zum Stichtag 31.12.15 auch eine FDA-Zulassung vorlag und in denen das Einreichungsdatum ermittelt werden konnte. In 39 Fällen waren die Bearbeitungszeiten im FDA-Verfahren kürzer, in nur sechs Fällen ging es im EMA-Verfahren schneller und sieben Verfahren dauerten in der EU und den USA etwa gleich lang (weniger als ein Monat Unterschied). Das Verfahren bei EMA und EU-Kommission dauerte nach Berechnung des MAA-Report im Mittel 421 Kalendertage, bei der FDA waren es 294, wobei drei Fälle mit extremen Ausschlägen (2 x FDA, 1 x EMA) nicht berücksichtigt wurden. So lag die Zulassung von Vantobra (Tobramycin/PARI Pharma) – brutto 965 Tage) wegen rechtlicher („Orphan legislation provisions“) Bedenken der Kommission lange auf Eis. Bei den ermittelten Bearbeitungszeiten bleibt allerdings die Rolling Submission „außen vor“, die es in bestimmten Fällen erlaubt, der FDA Unterlagen sukzessive und schon vor dem Datum des eigentlichen Filings zur Prüfung vorzulegen. Einige Highlights im Vergleich EU/USA: Rekordverdächtig ist die US-Zulassung für Blincyto (Blinatumomab/Amgen). Das Orphan Drug mit Break Through Therapy Designation und Priority Review zur Behandlung von Patienten mit akuter lymphatischer Leukämie wurde von der FDA in 75 Tagen zugelassen, fünf Monate vor dem PDUFA-Date. Auch hier erfolgte die Einreichung in beiden Märkten fast zeitgleich. Die EMA gewährte Conditional Marketing Authorisation. Die Zeitspanne bis zur Zulassung betrug hier 410 Tage. Fast schon wie in einem gemeinsamen Binnenmarkt USA/EWR verlief die Bearbeitung der Zulassungsanträge für Viekirax/Exviera, die orale Hepatitis-C-Kombinationsbehandlung von AbbVie. Die Anträge wurden bei der EMA und der FDA fast zeitgleich eingereicht. Bis zur Zulassung vergingen in den USA 242 und in der EU 254 Tage. Fast zeitglich eingereicht wurde auch Praxbind (Idarucizumab) von Boehringer Ingelheim, als Gegenmittel, falls es unter Dabigatran zu unkontrollierten Blutungen kommt. Die FDA brauchte 239 Tage, die EMA und die Kommission kaum länger (263 Tage).

MAA01, 18.01.2016